Hier poste ich nochmal mein Online Interview mit dem verteidigungspolitischen Experten der FDP vom 2. Februar 2009. Auf die Antworten aller anderer Parteien warte ich immer noch 😉
Der erste Politiker hat auf meine Interviewanfrage geantwortet. Nach dem der FDP Vorsitzende Dr. Guido Westerwelle hat mitteilen lassen, dass er an solchen Umfragen nicht teilnehme, habe ich mich an den Verteidigungsexperten der FDP, Dr. Rainer Stinner, gewandt. Am 16. Januar 2009 hatte ich alle Vorsitzenden der im Bundestag vertretenden Parteien für solch ein Interview angefragt. Die letzte Wasserstandsmeldung diesbezüglich hatte ich hier am 25. Januar gepostet. Sehr geehrter Herr Dr. Stinner, vielen Dank für die Beantwortung dieser 10 Fragen. Ich hoffe, dass sich hier im Blog diesbezügliche einen intensive Diskussion entwickelt, zu der Sie natürlich auch eingeladen sind. Zur Homepage von Dr. Stinner.
Boris Barschow:
Welche Strategie verfolgt die FDP bzgl. des Bundeswehr-Engagements in Afghanistan?
Dr. Rainer Stinner (FDP):
Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr muss im Zusammenwirken mit den zivilen Anstrengungen betrachtet werden. Nur wenn Entwicklung und Sicherheit ineinandergreifen, können bleibende Erfolge erzielt werden. Es muss aber auch klar sein: unser Ziel kann es nicht sein, aus Afghanistan eine zweite Schweiz zu machen. Das Hauptziel ist der Aufbau von eigenständigen, selbsttragenden Sicherheitsstrukturen. Dieser Aufbau kann jedoch nur im Zusammenwirken mit Fortschritten bei der Regierungsführung und bei der wirtschaftlichen Entwicklung zum Erfolg führen. Für mich persönlich ist es politisch nicht akzeptabel, dass die Bundeswehr noch 15 Jahre in Afghanistan bleibt. Vielmehr muss nach dem Aufbau der Sicherheitsstrukturen in Afghanistan der zivile Aufbau im Vordergrund stehen.
Wird der Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch zu einem Ihrer Wahlkampfthemen?
Ich versuche seit Jahren, größeres Interesse für das Thema zu wecken. Dies gelingt außerhalb konkreter Mandatsentscheidungen leider nur bedingt. Ich bin in jedem Fall bereit, jede Diskussion zu führen – egal ob innerhalb oder außerhalb des Wahlkampfes.
Welche Fehler hat die Bundesregierung in Afghanistan bisher gemacht?
Ich glaube, dass 2002 die Ambitionen zu groß und der Einsatz zu klein war. Der größte konkrete Fehler der deutschen Bundesregierung war und ist sicher der fehlgeschlagene Polizeiaufbau. Der Polizeiaufbau wurde von der Bundesregierung in peinlichster Weise vernachlässigt. Den vielen Worten über die deutsche Führungsrolle beim Polizeiaufbau folgten zu wenige Taten. Mit 40 Polizisten in Kabul baut man keine neue afghanische Polizei auf. Wir alle haben zu Anfang die Größe dieser Aufgabe unterschätzt. Die Bundesregierung hat aus diesen Fehlern jedoch nichts gelernt: Die europäische Polizeimission EUPOL steht kurz vor dem Zusammenbruch. Bürokratie und politische Eifersüchteleien behindern oftmals das große Engagement der eingesetzten Polizisten.
Was hat die Bundesregierung bisher mit Ihrem Afghanistan-Konzept erreicht?
Die grundsätzliche Einstellung, dass der Einsatz in Afghanistan nicht allein militärisch gewonnen werden kann, ist richtig. Konzeptionell weiß jeder, dass der Erfolg vom sichtbaren zivilen Aufbau abhängt. Ohne Zweifel sind auch Fortschritte zu verzeichnen. Die Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten und eine Vielzahl von Kleinprojekten in afghanischen Dörfern haben konkrete Verbesserungen für die Lebensverhältnisse vieler Afghanen gebracht. Die Präsenz der Bundeswehr hat ein Aufeinanderprallen von unterschiedlichen gewaltbereiten Gruppen verhindert. Auch beim Aufbau der afghanischen Armee hat die Bundeswehr wichtige Beiträge geleistet, diese müssen jedoch erheblich verstärkt und verstetigt werden. Seit Dezember 2008 gibt es erstmals (warum erst jetzt?) ein gemeinsam fixiertes Verständnis über die Aufgaben in Afghanistan zwischen der afghanischen Regierung, ISAF sowie der UNAMA als Träger des zivilen Aufbaus.
Es werden wieder Debatten lauter (aus Großbritannien und den USA), Deutschland solle sich im Süden des Landes beteiligen? Wie stehen Sie zu den Lastenverteilungs-Forderungen dieser beiden Bündnispartnern?
Aus meiner Sicht hat sich diese – oft mit schiefen Argumenten geführte – Debatte in den letzten Monaten weiterentwickelt. Die Verbündeten verstehen die anders gelagerte innenpolitische Situation in Deutschland, anerkennen aber auch die deutschen Anstrengungen in Nord-Afghanistan. Bei meiner Afghanistan-Reise im Januar 2009 wurden keine entsprechenden Forderungen mehr erhoben. In der NATO wird zunehmend erkannt, dass ein stabiler Norden für den Gesamterfolg in Afghanistan von großer Bedeutung ist. Dies belegen auch entsprechende Äußerungen des britischen Außenministers im Januar 2009. Im Übrigen würde eine deutsche „Kampfkompanie“ im Süden wohl eher nur ein symbolischer Akt sein. Allerdings wird immer wieder angemahnt, dass Deutschland seine restriktive Politik bei der Durchführung der gemeinsam beschlossenen Aufgaben aufgibt. Auch aus Sicht der FDP ist es sinnvoller, die vielfältigen Aufgaben in Nordafghanistan uneingeschränkt zu erfüllen, anstatt eine Vermischung von Aufgabenbereich das Wort zu reden. Ein solcher Weg wäre für keine Seite von Nutzen.
Was muss in Afghanistan anders gemacht werden, damit sich die Sicherheitslage wieder verbessert?
Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Strategie ist ein enges Zusammenwirken von militärischen und zivilen Anstrengungen. Dies erfordert ein hohes Maß an Koordination auf allen Ebenen. Leider ist diese Koordination bisher mangelhaft. Es wird zwar von allen Seiten (ISAF, afghanische Regierung, UN, NGOs) eine bessere Koordination angemahnt, keine Seite ist jedoch wirklich bereit, sich von anderen Seiten koordinieren zu lassen. Das gilt auch für Deutschland. Ich habe oft den Eindruck, dass die Entwicklungshilfeministerin und der Verteidigungsminister auf unterschiedlichen Planeten leben.
Einige positive Ansätze bei der Ausbildung der afghanischen Armee (Operational Mentor and Liaison Teams, Logistikschule) und bei der wirtschaftlichen Entwicklung (Provincial Development Funds) sind in ihrer Wirkung stark beschränkt, da in den jeweiligen Führungsebenen oftmals konventionelle Ansätze („haben wir bisher auch so gemacht“) überwiegen.
Es ist jedoch festzustellen, dass dieses Problem in den Führungsspitzen erkannt wurde. Sowohl der aktuelle ISAF-Kommandeur, General McKiernan, als auch der Leiter der UN-Sonderbehörde in Afghanistan, Karl Eide, gehen neuartige Wege und streben eine bessere Zusammenarbeit an. Die afghanische Regierung, ISAF, und die UN haben in den letzten Wochen gemeinsam Distrikte definiert, in denen Sicherheit und Entwicklung schwerpunktmäßig vorangebracht werden sollen.
Ein hohes Militärmitglied aus den USA sagte neulich in der Washington-Post, Obama hätte nur deshalb einer Truppenerhöhung um 30000 Soldaten zugestimmt, damit er Zeit gewinnen könne, einen Plan für Afghanistan zu entwickeln, den es offenbar bisher noch nicht gab. Steuerte die internationale Gemeinschaft bisher ziellos ihren Einsatz am Hindukusch? Gibt es eine “Exitstrategie”? Unter welchen Vorraussetzungen könnte die Welt sagen “Mission accomplished”?
Das Ziel des militärischen Engagements ist eine selbsttragende Sicherheit. Wenn die afghanische Polizei und Armee in der Lage sind, die Sicherheit ihres Landes selbstständig zu gewährleisten, dann ist der Gesamtabzug der internationalen Truppen möglich und geboten. Diese Entwicklung wird sich stufenweise vollziehen. In Kabul ist die Verantwortung bereits an die Afghanen übergegangen, in einem nächsten Schritt ist dies in Nord-Afghanistan in der Provinz Balkh vorgesehen.
Die afghanische Armee soll bis zum Jahr 2012 ihre Soll-Stärke erreichen. Um diesen Prozess – im Sinne einer „Exit-Strategie“ – planmäßig zu ermöglichen, kommt der Quantität und Qualität von Beratern der afghanischen Sicherheitskräfte entscheidende Bedeutung zu.
Warum ist Ihrer Meinung nach das Thema Afghanistan immer noch kein gesellschaftspolitisches und – relevantes Thema?
Die politischen Debatten sind oft auf innenpolitische Themen konzentriert, da es mit Ende des Ost-West-Konfliktes zu einer Entkopplung der Problemlagen der Streitkräfte und der Bevölkerung kam. Im Gegensatz zur sicherheitspolitischen Entwicklung im Kalten Krieg ist die Bevölkerung nicht unmittelbar vom Verlauf und Ausgang des Afghanistan-Einsatzes betroffen. Aufgrund der nicht unmittelbaren Betroffenheit der breiten Bevölkerung, ist eine Mobilisierung – vergleichbar mit den Wiederbewaffnungs- und Nachrüstungsdebatten – nicht gegeben. Der Zusammenhang zwischen der Lage in Afghanistan und der Sicherheit in Deutschland ist – trotz Terrorwarnungen – zu abstrakt, um eine unmittelbare Betroffenheit zu schaffen. Diese Entwicklung wird sich durch die Finanzkrise sicher nicht verstärken.
Diese Situation ist für die sicherheitspolitische Debatte sicher schwierig, aber gleichzeitig ist dieses freundliche Desinteresse auch Zeichen eines grundlegenden sicherheitspolitischen Wandels: Die deutsche Bevölkerung ist keiner unmittelbaren und flächendeckenden Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen ausgesetzt. Die Gefahren und Risiken sind heute diffuser und damit auch schwerer vermittelbar.
Viele AFG-Einsatzkritiker behaupten, es ginge in diesem Konflikt hintergründig nur um Energie-Ressourcen und Deutschland ließe sich von Großbritannien und den USA dafür “missbrauchen”? Wie kommentieren Sie diesen Vorwurf?
Diese verschwörungstheoretisch geprägten Erklärungsmuster sind realitätsfern. Ausgangspunkt des Afghanistan-Einsatzes waren die Anschläge am 11. September 2001. Die These, dass die USA an dem Einsatz in Afghanistan „verdienen“, ist völlig absurd.
Ist die Bundeswehr Ihrer Meinung nach richtig für diesen Einsatz ausgerüstet? Sind die Rules of Engagement unter der den aktuellen Sicherheitsbedrohungen noch ausreichend (Taschenkarte)?
Diese Fragen bilden seit Jahren einen Schwerpunkt meiner parlamentarischen Arbeit. Ich habe mich intensiv mit den Rules of Engagement von ISAF und die nationale Umsetzung beschäftigt. Daher standen diese Fragen auch bei meiner Afghanistan-Reise im Januar 2009 im Mittelpunkt meines Interesses. Während eines 3-tägigen Aufenthaltes in Kunduz habe ich mit Soldaten aller Dienstgradgruppen und unterschiedlicher Funktion über die Taschenkarte gesprochen. Ich kann in den letzten Jahren einen Wandel in der Auslegung der Taschenkarte erkennen. Trotzdem wären einige Klarstellungen in der Taschenkarte notwendig, um bisherige Interpretationsspielräume erheblich einzuschränken. Ich setze mich seit Längerem für eine entsprechende Anpassung der Taschenkarte ein, mittlerweile findet diese Forderung fraktionsübergreifende Zustimmung im Verteidigungsausschuss. Bedauerlicherweise weigert sich die Bundesregierung weiterhin, diese Anpassung vorzunehmen. Ich habe aber auch erkannt, dass trotz dieser ungenügenden Formulierungen in der Truppe keine Unsicherheit über zu ergreifende Maßnahmen besteht.
Hauptsorge der Truppe sind erhebliche Ausbildungs- und Ausrüstungsmängel. Ohne Frage gibt es im Bereich der Ausrüstung in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte. In Teilbereichen sind wir einigen Verbündeten um Jahre voraus.
Aber es ist für mich in keiner Weise nachvollziehbar und hinnehmbar, dass sich Soldaten auch im Jahr 2009 Bekleidungsstücke privat beschaffen müssen. Auch bei der Ausstattung mit Nachtsichtbrillen und auftragsgerechter Bewaffnung sind Defizite feststellbar. Hierbei handelt es sich zweifellos um zwingend notwendige Ausrüstung, nicht um überzogene Forderungen der Soldaten. Hiervon konnte ich mich bei der Begleitung einer Patrouille selbst überzeugen.
Zudem wird die einsatzvorbereitende Ausbildung durch Materialmängel erheblich eingeschränkt. Diese Probleme sind nicht auf fehlende Haushaltsmittel oder unzureichende Kapazitäten zurückzuführen, sondern auf falsche Prioritäten im Verteidigungshaushalt und bürokratische Inflexibilität. Ich habe nach meiner Rückkehr aus Afghanistan Bundesminister Jung über diese Zustände informiert. Diese objektiv vorhandenen Probleme dürfen nicht länger abgestritten werden, sondern müssen mit höchster Priorität gelöst werden. Hierfür werde ich mich weiter einsetzen.
Von einem ehemaligen Kameraden habe ich erfahren, dass die RoE endlich dahingehend geändert wurden, dass die Bw-Soldaten nun u. a. auch auf Feinde schießen dürfen bevor diese das Feuer eröffnen.
Wurde auch Zeit………
Dass in Afghanistan kein Krieg sei sondern nur eine „Krisensituation“ usw. existiere, ist doch bodenloser Schwachsinn. Selbst ein Laie wie ich kann erkennen, dass dort Krieg ist. Verteidigungsminister Jung bzw. die Bundesregierung sollen endlich zugeben, dass dort KRIEG herrscht!
Wenn es stimmt, dass unsere Truppen nicht die erforderliche Ausrüstung aus bürokratischen etc. Gründen
bekommt, die sie braucht, dann ist das schlichtweg inakzeptabel.
Das Volk derart zu belügen ist eine Frechheit, aber es auch noch weiter zu täuschen, wenn die Lüge offenbar ist, ist einfach impertinent und schlichtweg saudumm.
Zum Thema Krieg muss man die rechtlichen Rahmenbedingungen kennen um zu wissen wann Krieg RECHTLICH herrscht und wenn es darum geht, hat Herr Jung völlig recht es ist kein Krieg, denn die Voraussetzungen dafür wären das ein Staat gegen einen anderen Staat den Krieg erklärt. Deutschland hat Afghanistan nie den Krieg erklärt und wir kämpfen auch nicht gegen Afghanistan sondern mit Afghanistan gegen Aufständige. Wo Herr Jung definitiv nicht die Wahrheit sagt ist das es ein stabilizierungseinsatz ist, in Afghanistan herrschen Kriegsähnliche zustände und das Material ist schlecht und nicht ansatzweise den Bedürfnissen angepasst. Ich bin selbst regelmässig für die Bundeswehr in Afghanistan und sage es muss weniger Verwaltung und mehr Truppe in den Raum dann könnte man die Aufgaben mit der selben Personalstärke lösen