„Nachtigall, ick hör´ Dir trappsen?“ Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sich die allgemeine Afghanistan-Aufmerksamkeit zu wandeln scheint. Hierzulande wird der Hindukusch von einigen Parteien vor der Wahl zum Topthema erklärt (bin mir aber sicher, dass sich das nach der Wahl wieder beruhigen wird), Außenminister Steinmeier spricht neuerdings von 2013 und auch die Kanzlerin will nach neuen Strategien auf der nächsten Afghanistan-Konferenz suchen. Dänmark streitet über eine Buchveröffentlichung eines Elitsoldaten, der angeblich militärische Geheimnisse ausplaudern soll und offenbar den Einsatz seines eigenen Landes damit in Frage stellen soll. Wäre man nun also Chefpropagandist der Taliban-Öffentlichkeitsarbeit, müßte man sich genüßlich ins Fäustchen lachen.
Nach dem Tod von sechs italienischen Soldaten in Afghanistan streitet nun auch die Regierung in Rom über einen Rückzug der eigenen Truppen vom Hindukusch. Ministerpräsident Silvio Berlusconi sprach sich für einen raschen Abzug aus, nannte jedoch keinen Termin. (weiterlesen hier)
Auch die Briten scheinen einen Abzugsdebatte zu starten, meldete DIE ZEIT – ich hatte darüber schon hier berichtet.
Berlusconi hatte sich auch schon am Donnerstag für einen Abzug der italienischen Soldaten aus Afghanistan ausgesprochen. „Wir sind alle überzeugt, dass wir unsere Soldaten so rasch wie möglich nach Hause bringen sollten. Es handelt sich jedoch um ein internationales Problem. Der Rückzug ist kein Beschluss, den ein Land allein fassen kann, weil es damit das Vertrauen der anderen an der Mission beteiligten Ländern enttäuschen würde“, sagte Berlusconi.
Die Opposition wehrt sich gegen den Abzug italienischer Soldaten aus Afghanistan. „Der Rückzug wäre jetzt eine Katastrophe für das Land. Wir dürfen nicht erlauben, dass die radikal-islamischen Talibans im Land immer mehr an Raum gewinnen“, sagte der Ex-Premierminister Massimo D´Alema, Spitzenpolitiker der oppositionellen PD (Demokratische Partei). (weiterlesen auf Derstandard.at)
Wenn nun einzelene NATO-Staaten aus der Mission ausbrechen und sich zurückziehen, stärkt dieses Verhalten bestimmt nicht das internationale Bündnis vor Ort, sondern schwächt es eher, womit wohl noch einiges (mehr) schwieriger würde als es zuvor schon war.
Frage an die Leser: interessiert sich jemand durch diese politische Debatte jetzt mehr für Afghanistan als er es vielleicht vorher getan hat? Oder sehen Sie durch diese Diskussion endlich einen Zeitpunkt erreicht, der das Thema Afghanistan prominenter und damit mit einer relavant größeren (bestsändigeren) Bedeutung in den Medien vertreten sieht?
Kaum schreibt man drüber: die Al-Kaida-Propaganda scheint wieder anzulaufen. Ein neues Drohvideo gegen Deutschland.
Was gibt es da noch zu sagen? Helfersyndrom vielleicht?
Es ist jedes „Für und Wider“ hunderte male durchgekaut.
Immer das Gleiche, die gleichen Argumente, die gleichen Begründungen, warum sie tun, was sie tun.
Es gibt nur eine Vernunft:
Raus aus Afghanistan. Wir haben dort weder was zu suchen, noch sind wir die Herren und die einzig „Waisen“ der Welt, die allen sagt , was sie zu tun hat, wie sie sich regiert und wer der Boss gefälligst zu sein hat–
Ob dort ein Stammesführer für Ordnung sorgt – oder eine vom Westen eingesetzte und finanzierte Witzfigur.
Sie leben anders und sind in Stammesgruppen geordnet und werden eben so regiert- sie brauchen ihre Stammesführer. man könnte auch sagen, unsere Bürmeister sind kommunale Stammesführer.
Was geht uns das an. Nichts?.
Es sei denn, man hat andere Interessen. diese sind mit ganz einfachem verstand schon erkennbar.
Diese vorgeschobene Argument, wir müssen helfen-helfen-helfen— wers glaubt wird selig. Sie handeln für ihre eigenen zwecke und dafür tut man alles.
Oder sie leiden alle bereits an einem krankhaften Helfersyndrom.
Hallo Frau Gatzke,
alles wieder durchgekaut, das erscheint denjenigen wohl so, die sich interessieren und sich mit AFG auseinandersetzten – egal in welche Richtung. Ihre Argumentation: legitim. Dennoch: die Welt ist JETZT in AFG. Exit-Strategien hätte es schon vor der Mission geben müssen, ja! Dennoch: es geht (auch) um ein gesellschaftspolitisches Interesse. Dies scheint kaum vorhanden. Umfragen sehen mehr Einsatzgegener als Befürworter. Doch selber, die, die den Einsatz ablehnen gehen nicht auf die Straße. Und unterm Strich sterben Menschen in AFG – auch Soldaten. Haben diese nicht ein Recht auf Aufmerksamkeit und Anerkennung? Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, mir geht es nicht um „raus“ oder „drin bleiben“, sondern um eine transparente Abbildung dessen, was dort unten passiert. dazu gehören auch die vielen Fortschritte, die gemacht worden sind. Und über die lesen und sehen wir nicht viel. Nochmal meine Frage anders gestellt: fühlen Sie sich umfassen und ausgewogen informiert über die Mission AFG?
„Raus aus Afghanistan – Aber wann und wie?“ – dies die Titelstory in der neuesten „Stern“-Ausgabe. „Stern“-Reporter Christoph Reuter lebt seit November 2008 ständig in Kabul: Jeder hier verteidigt seine Interessen und lügt sich die Lage schön, Karsais Regierung, westliche Militärs und Diplomaten. Sein Fazit:“Dieser Einsatz führt in eine Sackgasse. Die deutsche Bundesregierung führt eine Geisterdebatte, sie hat keinen Plan, der anstatt mit Wünschen auch etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat. Keinen zum Bleiben, keinen zu Gehen. Das ist verantwortungslos gegenüber den Afghanen wie gegenüber den Soldaten der Bundeswehr. Verantwortungslos, sie dort sterben zu lassen. Verantwortungslos, sie dort töten zu lassen.“
Interessant einmal eine ganz andere Beleuchtung der Situation Afghanistans, eben jene, die hier scheinbar immer zu kurz kommt, nämlich das Erreichte:
In „Spiegel-Online“ vom 15.09.09 berichtet der Artikel „Hochschulen am Hindukusch – Nur so gelingt Afghanistans Wiederaufbau“ darüber, dass Afghanistan an einem Wendepunkt steht, an dem sich entscheidet, ob es als selbstbewusste neue Nation aufsteigen oder kraftlos in das alte Chaos zurücksinken wird.
Was fehlt, ist eine Tradition der Eigenverantwortung der Afghanen, die sog. Afghan ownership, mit dessen Begriff die Afghanen jedoch nichts anfangen können.
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,647933,00.html
Frau Gatzke hat schon Recht, alles hundertmal durchgekaut und dennoch ist man bzw. ich, kein bischen „weiser“.
Nach gut 2 Jahren intensivster Beschäftgung mit dem Krieg in Afghanistan, der einmal als „Wiederaufbau“ deklariert war, mit allem was sich mit angeboten hat bzw. was ich über dieses Thema in Büchern, Internet, Medienberichten in Funk, Fernsehen und Zeitungen „aufsaugen“ konnte, ist für mich der aktuelle Zustand ein Gespinst von Halb-/Unwahrheiten. War der ausgerufene Bündnisfall unter dem weltweiten Schock von 9/11 jemals einer, stimmt etwas an den Gerüchten, dass die USA selber dahinter stecken, es zumindest nicht verhindert haben? Warum mussten die anderen Nato-Partner, den von den USA begonnenen Krieg in Afghanistan weiterkämpfen, während sich die USA lieber in einen anderen sinnlosen Krieg stürzen mussten? Warum wurde der Krieg in AFG überhaupt angezettelt, doch eher der Kampf um vermeintliche Pipelines? Bush brauchte einen Krieg, die USA brauchen immer „irgendwo“ einen Krieg, Krieg heizt auch die Produktion an, es gibt auch „Gewinner“ an solchen Kriegen.
Die Bundeswehr – vielleicht auch viele andere Armeen der Partner – sind für diesen „psychologischen Krieg“ weder hinreichend ausgebildet noch ausgerüstet. Wer hinter die Kulissen schauen darf bzw. muss, kommt zu dem Schluss: Das ist „grobe Fahrlässigkeit“, wie der deutsche Staat mit unseren Soldaten und auch Polizisten, die in den Einsatz gehen müssen, umgeht. Jeder, der nicht als Berufssoldat gehen muss, sollte sich das nicht antun: Kein AVZ, kein „sozialer Touch“ sollte das rechtfertigen: Das Wichtigste im Leben eines Menschen ist, die eigene Gesundheit und das eigene Leben, als zweites: Die Fürsorge für seine Familie, darf/muss ich ihr das antun – kein „Job“ der Welt, rechtfertigt anderes…
Man muss sich aber auch die Frage stellen, darf man die Menschen in Afghanistan „mal wieder“ im Stich lassen?
Lassen wir sie im Stich, wenn sich die Truppen zurückziehen? Können wir nicht die Unsummen, die diese militärischen Operationen täglich kosten, lieber in zivilen Aufbau stecken, der den Menschen wirklich etwas bringt -nämlich Zukunft? Sollten wir den Afghanen nicht endlich etwas zugestehen, was sie noch nie hatten – nämlich eine Selbstbestimmung, wie sie leben möchten? Müssen wir uns in eine Art „Diktatur“ hineinbegeben, indem wir – der Westen – ihnen sagen und zeigen wollen, wie „Demokratie“ gelebt wird? Wollen die Afghanen, die Demokratie nicht kennen, nicht wissen, was es bedeutet, sie überhaupt? Haben sie nicht das Recht, auf eine eigene Staatsform?
Bleibt die (vorgeschobene) Bedrohung des weltweiten Terrorismus: Wir in Deutschland haben den RAF-Terror „überlebt“, Terroristen gab es schon immer und überall und wird es auch immer geben, das Leben ist gefährlich, Terror bzw. „Irre“ sitzen mitten uns – in S- und U-Bahnen, in Schulen, in Gerichtssälen, in Zügen, in Familien, auf der Autobahn – keiner von uns weiß, ob er am Abend wieder nach Hause kommt…
Was sollen unsere Soldaten in Afghanistan, sie sollten besser für unsere eigene Sicherheit, gegen den „drohenden Terrorismus“ in Deutschland eingesetzt werden, aber hierzulande streiten ja lieber Innen- und Verteidigungsminister darüber, wer welche Kompetenzen überschreitet, wobei Fakt ist: Weder Polizei noch Bundeswehr verfügen über genügend Personal und finanzielle Mittel. Warum nicht miteinander anstatt gegeneinander – zur Sicherheit unseres Landes, unserer Bevölkerung?
In Afghanistan sollte die Staatengemeinschaft, wie in anderen Ländern auch, verstärkt finanzielle Hilfe zur Selbsthilfe zur Verfügung stellen – allerdings kontrolliert -und diesem Land und ihren Menschen dazu zu verhelfen, sich eine selbst gewählte und selbst bestimmte Zukunft aufzubauen. Eine Zukunft, die niemals auf einem „westlichen“ Level basieren wird, aber von den Afghanen, wie in anderen afrikanischen und asiatischen Ländern, wohl auch nie gewollt ist.
Auch 58 % der Amerikaner lehnen nach neuesten Umfragen im Übrigen diesen Krieg in Afghanistan ab. In meiner Lesart sehe ich eine „langsame Verabschiedung“ der Bündnispartner aus Afghanisten, man hat nur noch nicht den Weg gefunden, nicht als „geprügelter Hund“, wie die Russen es schon lange prophezeit, weil selbst erlebt, haben. Und wenn die USA aufstocken und weiter kämpfen „wollen“, dann bitte sehr, um sie ging es ja zu Beginn des Ganzen schließlich einmal, oder nicht? Sie sollten nicht das Maß aller Dinge sein, auch die übrige Welt hat Probleme und nicht überall können und dürfen wir „einmarschieren“…
Fakt ist jedoch dass wir in Afghanistan sind, und uns der Verantwortung die wir dadurch übernommen und erarbeitet haben, schuldig sind. Nicht der Weltpolitik, sondern auch den Menschen und unseren Soldaten.
Ich für meinen Teil stehe dazu, unterstütze es und finde es richtig dass wir dort sind!
Verantwortung, die man einmal übernommen hat – warum oder wie begründet auch immer, hinterher ist man immer schlauer – sollte auch irgendwann „verantwortlich“ beendet werden und in diesem Fall eigenverantwortlich in die Hände der Betroffenen -hier die Afghanen – gelegt werden.
Zurzeit werden Stärkezahlen von ausgebildeten Polizisten und Soldaten als „Exit“ benannt. Für mich ein absoluter Unfug, warum 134.000 Soldaten – keine 100.000, keine 150.000 Soldaten, nein explizit 134.000!!! Quantität sagt nichts über Qualität aus, viele ausgebildete afghanischen Soldaten und Polizisten sind wie eh und je korrupt, viele schlagen sich nach der Ausbildung auf die Seite des Feindes, viele sind unmotiviert und/oder schlicht und ergreifend überfordert. Also was soll dieses Gerede? Dies ist für mich nur eine „Alibi-Exit-Strategie“ nach der üblichen Art der Amerikaner, der Irak ist ja nach Meinung der USA auch mittlerweiler „befriedet“.
Außerdem dürfte bei dem jetzigen Stand der ausgebildeten afghanischen Polizisten und Soldaten nun auch eine „Führung“ vorhanden sein, die mit finanzieller westlicher Hilfe ihre Sicherheitskräfte selber ausbilden kann. Und: Nicht nur die Afghanen konnten in der unruhigen Geschichte ihres Landes schon immer kämpfen – auch ohne den Westen.
Bei aller hoher Anerkennung für die Leistung der Truppen aller Nationen – es ist Zeit für einen anderen Weg.
Ich fordere auch hier „ehrliche“ Antworten der Politiker aller Bündnispartner auf einen verantwortungsvollen Rückzug, ohne die afghanische Bevölkerung im Stich zu lassen.