Es ist erstaunlich wie sich die öffentliche Wahrnehmung des Afghanistan-Einsatzes in den letzten Wochen verändert hat – das hatte sicherlich etwas mit unseren Wahlen zu tun, aber auch mit der zunehmend veränderten Situation für Bundeswehrsoldaten am Hindukusch – der „Tanklaster-Vorfall“ von Kunduz (offenbar gab es einen erneuten Angriff der Taliban auf einen Tanklastzug) war und ist da als ein spektakuläres außergwewöhnliches Medienereignis zu benennen. Jedoch fehlen immer noch die anderen Blickwinkel auf ein „geliebtes dunkles“ und geschundenes Land. Nämlich all die Fortschritte, die nichtsdestotrotz erreicht wurden und werden und selten Erwähnung finden. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere: während die gängigen Medien über militärtaktische Verhaltensweisen, Exitstrategien und Sinnhaftigkeit dieses Einsatzes spekulieren und die mangelnde Informationspolitik der Volksvertreter und Fachministerien kritisieren, findet die Fachdebatte über dieses Nischenthema ungewohnt realistisch und fast unbemerkt woanders statt. Das Magazin für Sicherheitspolitik Loyal (Verbandszeitschrift des Reservistenverbandes) titelt in seiner Oktoberausgabe mit den Schlagzeilen:
„Angst vor dem Töten: Bundeswehrsoldaten im Kampf – das heißt auch, auf Menschen schießen zu müssen“
Ein eindrucksvoller Bericht über die Einsatzrealität der Quick Reaction Force, über Einsätze und den Einsatzalltag junger Menschen, die töten müssen und mit Sicherheit „anders“ in die Heimat zurückkehren. Passend dazu der Leserbrief „Die andere Seite“ von Katja K., die ihren Mann zwar gesund nach sechs Monaten in ihre Arme schließen konnte, ihren Lebenspartner aber nun verloren hat:
„Unser ganzes Dorf wurde von Euphorie angesteckt (als ihr Mann nach sechs Monaten Afghanistaneinsatz nach Hause kam). Die Aufregung und auch die Erleichterung war groß. Mein Mann war nicht mehr derjenige, den meine Kinder und ich im März nach Afghanistan verabschiedet hatten. Es war nicht nur das neue, ungewohnte Wieder-Zusammensein. Es hatte sich etwas Grundlegendes verändert. Vielleicht ist das auch normal nach einem Einsatz. Aber unnormal ist es , wenn sich der Partner, der einem mit das wichtigste im Leben scheint, in dieser Zeit so sehr verändert hat, dass er Ehefrau, Kinder, Haus und Hof verlassen will. Das ist nicht normal. Und das macht mir Angst. Eine Welt bricht zusammen. Es war nicht der Tod, der uns das Glück zerstört hat, nein, es waren die sogenannten kriegsähnlichen Zustände vor Ort. Sie können einen Menschen so stark verändern und beeinflusen, dass der Verstand ausbleibt und alles andere in diesem Augenblick wichtiger erscheint als die eigenen Verpflichtungen und Verantwortungen zu Hause. Nun sitze ich genauso da wie in der Einsatzzeit. Ich weine, hoffe und bete, dass ich das Erlebte und Geschehene schnell verarbeite, dass endlich wieder Glück und Ruhe einkehrt. Aber dafür muss einiges geschehen. Ich kann nur Frauen und Männer raten, deren Partner noch ein Auslandseinsatz bevorsteht: Vermitteln Sie stets und ständig Anerkennung und bringen Sie Ihre Liebe zum Ausdruck, sonst verlieren Sie ihn. So wie ich jetzt.“
Der andere Leserbrief „Im Stich gelassen“ von Bernd Steil, Major d.R., spricht über eine andere Einsatzwahrnehmung aus dem 5. ISAF-Kontingent, an dem er als „Überzeugungstäter“ teil nahm. In verantwortlicher Position fühlte er sich von der Politik und oberen Befehlshabern im Stich gelassen:
„Mangelhafte Einsatzvorbereitung, teilweise mangelhafte Disziplin in der Truppe, persönliche Eifersüchteleien in der Befehlsebene, Drückebergertum, vernichtende Repräsentation nach außen, teilweise unfähige und unmotivierte Offiziere, Ungleichbehandlungen und Bevorzugungen, Wirkung privater Gruppierungen in den dienstlichen Auftrag hinein, schwachsinnige und lebensbedrohliche Befehle etc. Aus militärischer Sicht war ich von der Bundeswehr mehr als enttäuscht. Einzig die Tatsache, dass ich mich als „Überzeugungstäter“ und Reservist freiwillig nach Afghanistan gemeldet hatte und Gott sei dank einen Dienstposten erhielt, der es mir erlaubte, relativ unabhängig handeln zu können, lässt mir rückblickend eine insgesamt positive Erinnerung. Wenn wir unsere Jungs und Mädels in Afghnaistan unterstützen wollen, dann sollten wir das mit folgenden Zielen tun: Die Einflussnahme privater Lobbyisten auf unsere Armeeführung muss zerschlagen werden. Unsere Politiker müssen unsere Truppen deutlich stärker unterstützen; nicht mit halbherzigen Äußerungen, wie sie unser Verteidigungsminister von sich gibt, sondern mit angemessener Ausrüstung und angemessener Infrastruktur…lassen sie uns Einfluss nehmen auf unsere Politiker, auf diejenigen, die für Einsatz und Ausrüstung unserer Truppen verantwortlich sind.“
Zwei Leserbriefe aus zwei verschiedenen Perspektiven beschreiben das, was uns als verantwortungsvolle Gesellschaft beschäftigen sollte. Doch viele Menschen haben dafür „keine Zeit“ und lassen andere „im Stich“ und damit „allein“. Aufmerksamkeit, das ist das Zauberwort, mit dem wir eigentlich den Afghanen am Hindukusch helfen wollen, doch die, die es tun, haben sie auch verdient. Es sind so viele Menschen unter uns, die Dinge erlebt haben, die niemand erleben möchte. Nehmen Sie sich die Zeit und hören Sie ihnen zu, wenn jemand sich entscheidet, doch erzählen zu wollen. Ob es nun die Mutter ist, die ihren Sohn nach Afghanistan ziehen lassen muss oder der Soldat, der im Einsatz nicht nur beschossen wurde, sondern auch Eifersüchteleien und Eitelkeiten ertragen musste. Die oben zitierten Leserbriefe dokumentieren dieses Spektrum eines Einsatzes aller Beteiligten sehr realistisch – der, die daheim bleiben und der, die gehen müssen.
Könnten die Soldaten und wir Familien das erzählen, was wir wissen bzw. erlebt haben und noch erleben werden…
Aber will es einer wissen? Leben wir nicht in einer Kultur des „Verdrängens“, nur „mit sich selbst“ beschäftigt? Wir verdrängen Krankheit, Tod, Arbeitslosigkeit und so lassen sich Weltwirtschafts- und Finanzkrisen und auch Kriegseinsätze der deutschen Bundeswehr überstehen!
Aber wehe, manch einer wacht „plötzlich und unerwartet“ auf – der Bürger, der verantwortliche Politiker!
Wer will denn aufwachen? Das ist es ja.. Ich erlebe das an meinen Mitmenschen. Nicht nur in den Dingen, teilweise klischeemäßiges „gutes altes deutsches Brauchtum“ halt einfach zu machen.. nicht darüber nachzudenken was und wie etwas verändert werden kann, vor dem Unangenehmen und der schwierigen Arbeit weglaufen.. hauptsache man selbst ist erstmal okay..