Gastkommentar und Analyse:
Prof Dr. Thomas Jäger leitet den Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist ein gern gesehener und wohlgeschätzter Studiogast von PHOENIX. Seine Analysen immer auf dem Punkt. Am Rande einer unserer Sendungen über Afghanistan kamen wir ins Plaudern und heute hat er mir seinen versprochenen Gastkommentar für das Afghanistanblog geschickt. Vielen Dank Herr Professor Jäger. Ihnen und Ihrer Familie ein ruhiges Weihnachtsfest und einen Guten Rutsch ins Neue Jahr. Wir sehen uns.
Kein Spielraum in der Afghanistanpolitik
von Prof. Dr. Thomas Jäger
Nachdem nun auch die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen nun beobachtet haben, dass die Art und Weise, wie der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gegenüber der eigenen Bevölkerung kommuniziert wurde, die Legitimität des Einsatzes selbst unterminiert hat, werden vor allem zwei Faktoren hervorgehoben, die in naher Zukunft dazu beitragen sollen, den Einsatz neu und besser zu begründen.
Der erste Faktor ist eine neue Afghanistanstrategie; der zweite Faktor eine Abzugsperspektive. Beide aber werden der Bundesregierung nicht aus ihrem Dilemma helfen können und deuten heute schon die absehbaren Fehlentwicklungen in der Kommunikation nach innen an.
Am 1. Dezember 2009 hat der amerikanische Präsident nach fast drei Monaten interner Strategieberatung die Aufstandsbekämpfung in Afghanistan als neue Strategie der USA verkündet (http://www.youtube.com/watch?v=oZLVqhsLgIw&feature=related). Die von General Stanley McChrystal vorgelegte Konzeption (http://media.washingtonpost.com/wp-srv/politics/documents/Assessment_Redacted_092109.pdf) wurde damit übernommen und zu ihrer Ausführung eine Truppenaufstockung um 30.000 Soldaten auf dann fast einhunderttausend amerikanische Soldaten verkündet. Der Sonderbotschafter Obamas, Richard Holbrooke, verkündete einige Tage später über die Berliner Zeitung und die Süddeutsche Zeitung öffentlich, dass die amerikanische Regierung auch von Deutschland mehr Kampftruppen erwarte. Man kann ohne Zweifel davon ausgehen, dass der Bundesregierung dies aus Washington schon früher kommuniziert wurde und auch eine Antwort aus Berlin erfolgte. Diese soll allerdings erst nach der Afghanistankonferenz Ende Januar in London verkündet werden. Allein die logistischen Vorbereitungen aber machen eine interne Festlegung schon jetzt notwendig.
Für die USA geht es in Afghanistan vor allem um die Stabilität von Pakistan und hier insbesondere um die Sicherstellung der pakistanischen Nuklearwaffen. Es ist der Alptraum der amerikanischen Regierung, dass diese Nuklearwaffen in den Besitz von Terroristen gelangen. Die nächste Nuclear Posture Review der amerikanischen Regierung wird dies zur größten Bedrohung erklären (http://www.nytimes.com/2009/12/19/us/politics/19nuke.html). Dies verdeutlicht, wie hart die Interessen sind, die hier in eine Strategie gegossen wurden.
Erschreckend aus deutscher Sicht an den amerikanischen Strategiediskussionen war vor allem, dass die Bundesregierung, immerhin drittgrößter Truppensteller, weder um eine Stellungsnahme gefragt wurde, noch diese aus eigenem Antrieb eingebracht hat. Die Strategie der USA ist ohne deutsche Mitsprache ausgearbeitet worden. Die Bundesregierung hat selbst keine Anstrengungen unternommen, während der dreimonatigen Beratungen ihre Interessen zu vertreten.
Wenn nun seitens mehrerer Mitglieder der Bundesregierung die Forderung erhoben wird, dass man Gespräche über die Afghanistanstrategie beginnen müsse, ist schlicht festzustellen, dass diese soeben beendet wurden. Eine ernsthafte und damit auch glaubwürdig zu kommunizierende Strategiedebatte wird es im Januar 2010 nicht geben. Die Konzentration auf Polizeiausbildung und zivilen Aufbau, die in Deutschland eher Unterstützung erfährt, entspricht nicht der amerikanischen Strategie. Sie kann zu den Kampftruppen komplementär hinzukommen, sie aber nicht ersetzen.
Auch der zweite Faktor, eine Perspektive für den Abzug, ist nicht geeignet, öffentliche Unterstützung mobilisieren zu können. Präsident Obama hat ein solches Datum schon genannt: im Juli 2011 soll der Abzug amerikanischer Truppen beginnen, wenn die Bedingungen dafür hergestellt wurden. Abhängig ist dies erstens von der politischen Lage in Afghanistan, vor allem von der Reformbereitschaft und Anti-Korruptionspolitik der Regierung, und zweitens von der Lage in Pakistan. Beides unterliegt nicht der Kontrolle der Staaten, die zurzeit Truppen in Afghanistan stellen. Es ist politisch stets unklug, Entscheidungen von Prozessen abhängig zu machen, die nicht dem eigenen Einfluss unterliegen. Vor allem aber wurde das Abzugsdatum von der amerikanischen Regierung inzwischen so aufgeweicht, dass es nicht mehr ernst genommen werden kann. Verteidigungsminister Gates sprach davon, dass dies der Anfang eines Prozesses sei, der mit einer Handvoll Soldaten beginnen kann, die im Juli 2011 abziehen. Anthony Cordesman (http://csis.org/files/publication/090915_afghan_win_or_lose_0.pdf) hat im September 2009 ausgearbeitet, dass die Strategie der Aufstandsbekämpfung optimistisch bewertet mindestens zwei bis vier Jahre benötigt, einschließlich Stabilisierungsmaßnahmen viel länger. Zwar hat der amerikanische Präsident große Interessen darin, vor den nächsten Wahlen 2012 einen Erfolg vermelden zu können. Doch sind die politischen Kulturen in den USA und Deutschland gerade in Fragen der Bewertung militärischer Einsätze so verschieden, dass es für die Bundesregierung riskant ist, sich alleine hierauf zu verlassen.
So zeigt sich derzeit folgendes Bild. Die Afghanistan-Strategie ist entschieden. Der Abzug der Truppen ist, wenn sich alles wie geplant entwickelt, auf viele Jahre hinaus nicht zu erwarten. Unter diesen Bedingungen wird die Bundesregierung handeln müssen und dabei auf eine stärkere parlamentarische Opposition und eine ablehnende öffentliche Meinung treffen.
Auf dem Papier mögen die Deutschen die drittgrößter Truppensteller sein, aber in der Realität mangelt es an den Fähigkeiten und dem politischen Willen, um von den USA auch als solchen behandelt zu werden.
Wie der Vorfall in Kunduz zeigt, war die BW mangels schwerem Gerät nicht in der Lage die Situation im Flussbett selber aufzuklären und eigene Kräfte zu verlegen.
Als einzige Option blieb nur noch der Luftangriff durch US-Kampfflugzeuge, die eigentlich nur als letztes Mittel zum Schutz der eigenen Truppen bei Feindkontakt eingesetzt werden sollen.
Auch die jetzige politische Auseinandersetzung wird für die USA nur ein weiterer Beweis sein, dass von Deutschland bei der zu erwartenden Eskalation keine Hilfe zu erwarten ist.
@Marco Polo:
…welcher Debatte sollen wir Deutschen uns denn nun stellen? Der eines ernstzunehmenden Bundnispartners und der des drittgrößten Truppenstellers oder der des eigenen Charakters und Konsequenz, die eigenen Werte und Ziele dieses Einsatzes durchzusetzen? Westerwelle droht mit Boykott der AFG-Konferenz und will höchstens 200 zusätzliche Soldaten zur Verfügung stellen. Wo stehen wir eigentlich mit unserer Debatte in Deutschland? Interessieren sich nun wirklich mehr Menschen für das Thema Afghanistan? Wie sehen Sie das?