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Archive for the ‘Jahresrückblick’ Category

Also war ich dieses Jahr doch in einem kriegsähnlichen Einsatz unterwegs? Dieses Jahr hat sich jemand getraut, das auszusprechen, wovor viele Politiker sich gedrückt haben. Und es war abzusehen, dass die Bundeswehr im Norden über kurz oder lang in Kämpfe verwickelt werden würde. Aus einer Feinschmeckerdebatte pellt sich nun plötzlich ein zartes gesellschaftspolitisches Interesse wie das Küken aus dem Ei.

Und an diesem Jahresende wieder die gleiche Frage: was hat uns dieses Jahr gebracht? Einige Hoffnungen aus 2008 sind jäh im Nirwana der Hoffnungslosigkeit verschwunden – die Wahlen in Afghanistan waren ein Desaster. Die Anschlagzahlen in Afghanistan steigen stetig. Die Taliban und anderen Aufständischen müssen sich eins ins Fäustchen lachen, wenn sie unseren politischen Schlagabtausch hierzulande mit verfolgen. Die Afghanistan-Konferenz am 28. Januar 2010 droht hoffentlich nicht zu einer Farce zu werden oder zu einer reinen Truppensteller-Konferenz. Obwohl Obamas Erwartungen an Deutschland hoch zu sein scheinen, hat es die deutsche Politik doch versäumt, sich rechtzeitig in seinen Afghanistan-Selbstfindungsalleingangkurs einzumischen, um damit in der internationalen Politik endlich ein eigenes Profil, Selbstbewusstsein und Charakter zu demonstrieren. Das Kundus-Bombardement – und plötzlich befinden wir uns in einer Rückzugsdebatte… Wer hätte das 2008 schon vermutet? Dieses Jahr war so viel los, dass wir die Afghanen in unseren Debatten im Blog und in unseren Medien komplett links liegen lassen haben. Ein geschasster Verteidigungsminister, ein neuer Generalinspekteur und ein Staatssekretär, der zum zweiten Mal in den Ruhestand geht. Ein Untersuchungsausschuss und vieles mehr. Die Aufmerksamkeit für den Bundeswehreinsatz am Hindukusch ist größer geworden. Nicht zuletzt wegen einer politischen Schlammschlacht der Parteien in Berlin. Aber gut so: das ist doch das, was wir erreichen wollten. Die Menschen sollen hinsehen und zuhören und sich einmischen. Afghanistan geht uns alle an. und wir dürfen die Menschen in diesem Land nicht vergessen, für deren Untertützung wir angetreten sind.

Foto: privat - Als Staatsbürger in Uniform im Bundestag mit dem ehemaligen Außenminister Steinmeier. Ich gebe zu: in diesem Moment war ich ein wenig irritiert und kam mir vor wie in einem falschen Film.

Dieser Jahresrückblick soll stellenweise sowohl persönliche Erlebnisse dieses Jahres als auch die Bedeutsamkeit dieses Blogs einschließen dürfen. Ich hoffe, Sie gestehen mir das zu – war und bin ich doch als Staatsbürger in Uniform immer noch von der Politik rund um die ISAF Mission betroffen. Die Zahl derer, die in meinem Handeln und Tun eine Gratwanderung sehen – ein Journalist als Reservist in Uniform- , haben mich auch dieses Jahr nicht davon überzeugen können, dass es falsch ist, was ich tue. Engagement scheint für viele Menschen ein Fremdwort zu sein, inklusive derer, die schon in fast rufmordkampagnenmäßig Leser Rezensionen über mein Buch Kabul, ich komme wieder bei Amazon einstellen – üble Nachrede ist da noch ein freundlicher Begriff für. Ich weiß, wer es war und habe auf eine Anzeige verzichtet. Andere meinen „nun lass mal Afghanistan Afghanistan sein, halt die Füße still und funktioniere wieder“.

In den letzten drei Jahren war ich insgesamt 10 Monate am Hindu Kusch, was übersetzt so viel wie Inder töten bedeutet – wissen wohl auch nicht viele. Und dort wird also unsere Republik verteidigt. Das Jahr begann hoffnungsfroh und aufregend. Der Einsatzführungsstab der Bundeswehr setzte neue Schwerpunkte und suchte Interkulturelle Einsatzberater. Fast wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. In einem langen Bewerbungsverfahren nahm ich dann die letzten Hürden geballter Bedenkenträger, um die Soldaten in Afghanistan als Landeskundlicher Berater unterstützen zu dürfen. Aus Überzeugung, weil ich in meinen ersten beiden Einsätzen am eigenen Leibe gespürt habe, wie viel Hoffnung die Afghanen gerade in uns Deutsche setzen. Den Afghanen zu helfen, bedeutet Aufmerksamkeit schenken, Zuhören und Kommunikation auf Augenhöhe als säße man in einem gemeinsamen Orchester, um ein Konzert zu geben. Den Menschen nicht das Gefühl geben, Sie hätten nur nach unserer Pfeife zu tanzen. Ich war auch schockiert, dass es immer noch Offiziere gibt, die afghanischen Frauen zur Begrüßung die Hand reichen. Manch einer sah in der interkulturellen Beratung lediglich esoterisches Geschwätz als unabdingbares Muss. Zwischen Theorie und Praxis liegen immer noch Welten.

Kurz vor Beginn meines Einsatzes starb meine Mutter. Für Trauer blieb wenig Zeit, musste ich mich doch mit meinem eigenen möglichen Tod beschäftigen: Testament vorbereiten, Patientenverfügung. Einsatzvorbereitende Ausbildung bei der NATO , BKA, anderen Organisationen 😉  und bei der Bundeswehr.

Ich bin mit absoluter Überzeugung in diesen dritten Einsatz gegangen, mit der Überzeugung, einen Weg fortzuführen, der damals 2007 eher zufällig mit einer ersten Mission begann. Aus Abenteuer, Neuem wurde Verwunderung und dann Überzeugung: gestaltete sich die Realität des Landes aus meiner subjektiven Perspektive nicht so wie unsere Medien sie immer wiederspiegeln. Es gibt nicht nur Bomben und Terror im geliebten dunklen Land, nein, es gibt auch Fortschritte, für die sich hierzulande kaum jemand zu interessieren scheint: zahlreiche Wiederaufbauprojekte, kleine, große oder beispielsweise den Mut eines Afghanen, eine eigene Getränke-Fabrik zu gründen, damit das Land seine Coca Cola nicht mehr aus Pakistan importieren muss – Afghan Coke. Arbeitsplätze sind so entstanden und damit auch viel Hoffnung für Angestellte, die dem Terror trotzen und sich plötzlich eine eigene „Existenz“ für ihre Familie leisten können. Ich habe viele meiner afghanischen Freunde wiedergetroffen. Und jedes Mal diese unnachahmliche Gastfreundschaft, von deren Herzlichkeit wir uns einige Scheiben abschneiden können. Ja, ich musste mich auch mit den Schattenseiten dieses Einsatzes beschäftigen, musste die Blutzoll-Zahlungen für getötete Afghanen aushandeln und Handlungsempfehlungen für Oberst Klein vorbereiten, denjenigen einen, den dieser Einsatz wohl ein Leben lang verfolgen wird – als jemand, der Tag täglich Entscheidungen über Leben und Tod treffen musste. Ich durfte geschichtsträchtige Afghanen kennenlernen und konnte mich mit ihnen über die Zukunft ihres Landes unterhalten  – bitte sehen Sie mir nach, wenn ich an dieser Stelle keine Namen nenne, das wäre kontraproduktiv. Ihre Ansichten und Pläne fürs Land sind anders als wir uns das immer vorstellen. Der größte Fehler, den die internationale Gemeinschaft mache, wäre, nach acht Jahren immer noch nicht den eigentlichen Feind des Landes definiert zu haben. Sind es nun die Taliban, deren Trittbrettfahrer, die Gemäßigten, die Al Kaida und/ oder deren Nachahmer oder die vielen kriminellen Wochenendsöldner, die sich ein Zubrot zum Überleben ihrer Familien dazu verdienen. Tagsüber auf dem Feld zum ernten und danach unterwegs im Gefecht.

Wenn ich überlege, dass 2007 noch ein reguläres Ziel war, 70000 afghanische Soldaten ausbilden zu wollen, damit das Land sich um seine eigene Sicherheit kümmern kann, waren es im zweiten Einsatz 2008 gerade mal ca. 22000, die tatsächlich ausgebildet werden konnten. Heutzutage sind wir bei angedachten 240 Tausend, sowie sich das Obama vorstellt. Davon sind wir Lichtjahre entfernt und der ideenreiche Plan, 2011 aus Afghanistan abzuziehen, ist aus heutiger Sicht längst eine Farce. Was im Irak funktionierte, muss nicht unbedingt auch in Afghanistan gelten. Also, warum gaukelt man der Öffentlichkeit einen absurden Plan vor, der nur eine Stillhalten und Zufriedenstellen der Kritiker dieses Einsatzes befriedigen soll. Auf einem meiner Vorträge fragte mich einmal ein General, was denn meine Patentlösung für Afghanistan sei. Meine Antwort war nüchtern und direkt. „Wenn ich das wusste, musste ich hier nicht vortragen.“ Fakt ist immer noch, dass die Probleme Afghanistans vielfältiger sind als nur die Polizeiausbildung besser oder anders zu organisieren. Die Verzahnung von ethnischen, strukturellen, terroristischen Problemen, Drogenhandel und Korruption sind in diesem Land gewuchert wie ein Krebsgeschwür. Die Menschen Afghanistans sind kriegsmüde. Es herrscht ein Krieg auch um Bildung. Zirka 70% der Afghanen sind Analphabeten.

Foto: privat

In besonderer Erinnerung bleibt mir die Begegnung mit dem Provinzgouverneur von Balkh, Ustad Mohammed Atta Noor, den ich ja schon 2008 in Frankfurt kennen lernen durfte. Als er erfuhr, dass ich im Lande sei, lud er uns prompt in sein privates Gästehaus ein. Tee, gemeinsames Essen – große Teile seiner Familie waren auch anwesend, was in Afghanistan eine große Vertrauensgeste gegenüber einen Fremden ist und dann haben wir eine halbe Stunde Billard gespielt – einfach so. Unglaublich aber wahr. Normalerweise duldet Atta keine Gäste in seinem Haus, die Waffen tragen – wir durften sie weitertragen. Sicherlich auch ein interkulturelles Verständnis von ihm, weiß er wohl wahr, dass wir unsere Waffen nicht ablegen dürfen und er uns mit sonst nur in Verlegenheit gebracht hätte. Atta galt und gilt in Afghanistan bei vielen als das Zünglein an der Waage. Ich durfte ihn von einer sehr privaten Seite kennenlernen – und das weiß ich sehr zu schätzen, zumal er bei vielen auch als umstritten gilt, was seine Politik für oder gegen manch eine ISAF-Nation anbelangt. Er hat einerseits den Schalk im Nacken sitzen und ist andererseits auch ein Schlitzohr. Ein Mann, den man nicht unterschätzen darf. Seine Zeit in Kabul sähe er erst in vier bis fünf Jahren, meinte er. Warten wir es einfach mal ab – Karsai muss sich jetzt beweisen, sonst ist seine Zeit bald vorbei.

Foto: privat - Ustad Mohammed Atta Noor liest "Kabul, ich komme wieder"

Dieses Afghanistanblog hat zu Beginn des Jahres eine neue Stationierung erhalten und übersteigt mittlerweile die alten Einschaltquoten um ein Vielfaches – unabhängig und einzigartig. Dafür vielen Dank an die alten und neuen Stammleser, die ihren Weg hierher gefunden haben. Wir werden weltweit gelesen. Und ihre Leserkommentare tragen dazu bei, sich eine eigene Meinung und Ansichten zu bilden und bei WordPress sind wir seit einigen Tagen unter den Top 100 Blogs. Die Politik liest hier mit, dass weiß ich aus einschlägigen Quellen. Das bestätigt mir einmal mehr, dass unser Forum wichtig ist. Vor einigen Wochen hatte bekam ich eine dubiose Anfrage einer angeblichen Journalistik-Studentin aus London, die unser Blog zur Grundlage einer journalistischen Analyse machen wollte. Ich sollte ihr diverse Fragen per Email beantworten, warum ich denn nur aus Online-Zeitungen zitierte und ob ich meine Leser auch alle persönlich kennen würde. Da ich keine blinden Interviews gebe, bat ich die Dame, mich telefonisch zu kontaktieren – auf den Anruf warte ich heute noch. Ich versuchte ihr vorab das Anliegen dieses Blogs zu erklären, damit sie weiß, welcher Hintergrund uns treibt. Dass die Verlinkung auf aktuelle Medienberichte auch eine Wahrnehmungsperspektive unser Massenmedien spiegeln soll, die wir dann hier mit unseren individuellen Ansichten kommentieren, schien sie nicht verstehen zu wollen.

In den letzten Wochen dieses Jahres sind unsere Diskussion politscher geworden und haben dazu beigetragen, dass wir den Fokus auf die Afghanen streckenweise verloren haben. Ich bitte dies zu entschuldigen, verspreche aber, dass sich das im nächsten Jahr wieder in einem gewohnten Verhältnis einpendeln wird. Zurzeit versuchen wir ja, eine Traumhochzeit wahr werden zu lassen. Micha, derzeit in Afghanistan und seine Heidi allein in der Heimat. Die Themen sind und sollen vielfältig sein – nicht aber boulevardesk.

Und dann haben Soldaten gesprochen dieses Jahr – im SZ-Magazin Briefe von der Front. Für mich ein Highlight dieses Jahres. Unverhofft. Ein Mosaikstein für eine große Debatte, auf den wir alle „Betroffenen“ hingearbeitet haben. Vielen Dank für ihren Mut – auch, wenn die meisten Soldaten sich nicht unter ihrem eigenen Namen lesen wollten.

Foto: privat

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Afghanistan-Mission der Bundeswehr mehr Transparenz erhalten wird. Wir sind auf einem guten Weg. Schön zu wissen, dass einige nicht umkippen, wenn es stürmt – sowohl in der Politik als auch unter uns. Lassen Sie uns aus der Feinschmeckerdebatte ein unendliches Menu werden. Ich könnte jetzt noch seitenweise weiterschreiben, möchte Ihre Geduld nicht weiter mit meinen Ansichten belasten.

Ich danke den vielen Menschen, die mir in Afghanistan begegnet sind, allen, die mir stets Mut machen, weiterzumachen – trotz aller Widrigkeiten, deren Erwähnung hier eher an der falschen Stelle stünden. Es gab auch einige menschliche Enttäuschungen im letzten Einsatz, deren Erwähnung hier nicht als Abrechnung missverstanden werden solle, sondern als prägende Erfahrung, dass nicht alles Gold ist, was glänzt.

Einen besonderen Gruß richte ich an diejenigen Menschen in der Bundeswehr, die meinen Einsatz positiv unterstützt haben und bei denen ich mich noch nach gegebenem Abstand persönlich bedanken möchte. Wie meinte ein Oberst a.D. gestern zu mir: „Gegen den Strom schwimmen bringt die Hoffnung, dass einiges vielleicht irgendwann einmal anders werden wird.“ Einiges ist schon, wie Sie selber miterlebt haben, anders. Schwimmen sie bitte weiter mit. Gemeinsam sind wir stark. In diesem Sinnen: Ihnen und Ihren Lieben in der Heimat und im Einsatz einen den Umständen entsprechenden Guten Rutsch ins Neue Jahr. Wir lesen uns.

Bestimmt habe ich noch viele wichtige Dinge vergessen, aber die können wir ja dann hier miteinander mit Ihren persönlichen Rückblicken und Momenten auffüllen.

Herzlichst,

Ihr
Boris Barschow

Foto: privat - In Memoriam

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